Google Wave: Wellenreiten will gelernt sein

Ist die Welle der Begeisterung bereits verebbt? Selten verpuffte die Begeisterung für eine neue Technologie so schnell wie bei Google Wave. Nach der Vorstellung von Wave auf der Google-Entwicklerkonferenz Anfang 2009 waren die Erwartungen dermaßen hoch gesteckt, dass die ersten Wave-Einladungen wie magische Freitickets in ein wunderbares Web 3.0 betrachtet wurden. Mittlerweile sitze ich auf 25 Wave-Einladungen und werde sie nicht los.

Ist die Welle der Begeisterung bereits verebbt? Selten verpuffte die Begeisterung für eine neue Technologie so schnell wie bei Google Wave. Nach der Vorstellung von Wave auf der Google-Entwicklerkonferenz Anfang 2009 waren die Erwartungen dermaßen hoch gesteckt, dass die ersten Wave-Einladungen wie magische Freitickets in ein wunderbares Web 3.0 betrachtet wurden. Mittlerweile sitze ich auf 25 Wave-Einladungen und werde sie nicht los.

Der Grund für die Enttäuschung liegt jedoch nicht nur in den viel zu hoch gesteckten Erwartungen, sondern vor allem in der Tatsache, dass wir alle noch nicht wissen, wozu wir Google Wave überhaupt benutzen sollen.

Wave als reinen E-Mail-Ersatz einzusetzen, bringt kaum Vorteile. Bisher hat noch nicht jeder Internet-Benutzer eine Wave-Adresse, sodass es das universelle Kommunikationsmittel E-Mail kaum ersetzen kann. Außerdem funktioniert die Echtzeit-Kommunikation, die Wave ermöglicht, nur dann, wenn der Adressat Google Wave in seinem Browser aufgerufen hat. Ist dies nicht der Fall, wird die Nachricht  nicht sofort gelesen. Natürlich ist dies kein technisches, sondern ein habituelles Problem der Nutzer. Wer seine E-Mails nicht regelmäßig überprüft, ist für seine Mitmenschen ebenfalls nicht erreichbar.

Für die Nutzung von Wave als Instant-Messenger gilt ähnliches. Dass Instant-Messaging nie die Bedeutung von E-Mail erlangt hat, liegt vor allem an der Zersplitterung der Protokolle. Die Messaging-Protokolle von AIM, ICQ, Skype, Windows Live Messenger und einem Dutzend anderer Anbieter sind ganz oder teilweise nicht miteinander kompatibel, sodass man über Gateways mit Benutzern anderer Dienste kommunizieren muss. Ob Wave mit seinem offenen Standardprotokoll XMPP die proprietären Protokolle auf lange Sicht verdrängen wird, muss sich zeigen.

Was mit Google Wave bisher noch überhaupt nicht funktioniert, ist das zurzeit so beliebte Microblogging. Zwar gibt es eine Wave-Erweiterung mit dem Namen Tweety, die eine Verbindung zu Twitter herstellt, aber die Anbindung ist alles andere als stabil. Zudem zeigt Tweety noch nicht alle wichtigen Informationen eines Tweets an. Von einer Wave-Anbindung an andere Microblogging-Tools wie zum Beispiel Identi.ca habe ich noch nichts gehört. Und Wave selbst ist als Microblogging-Tool, so wie es sich zurzeit darstellt, nicht zu gebrauchen, obwohl ich eine solche Nutzungsmöglichkeit für die Zukunft nicht ausschließen will.

Doch wenden wir uns von bestehenden Anwendungsfällen wie E-Mail, Instant-Messaging und Microblogging einmal ab und kommen wir zu den wirklich neuen Nutzungsmöglichkeiten von Wave.

Wave im Unternehmenseinsatz: gemeinsame Erstellung von Texten\

Wave schlägt bei der kollaborativen Erstellung von Texten ein neues Kapitel auf. Da ich tagtäglich damit beschäftigt bin, gemeinsam mit anderen Personen Texte zu erstellen, sehe ich hier ein riesiges Potenzial. Um deutlich zu machen, worin dieses Potenzial besteht, muss ich zunächst einmal schildern wie zurzeit der Text für eine Image- oder Produktbroschüre im elektronischen Zusammenspiel zwischen Unternehmen und Werbeagentur entsteht.

Zunächst sammelt der Projektleiter im Unternehmen per E-Mail oder im Intranet Informationen über die Produkte und Dienstleistungen, die in der Broschüre vorgestellt werden sollen. Anschließend erstellt er in Rücksprache mit den zuständigen Produktmanagern ein Briefing, das er der Agentur zur Verfügung stellt. Sobald ich als Texter ins Spiel komme, sind daher bereits mehrere Word-Dokumente, Excel-Tabellen und PDF-Datei zusammengekommen; und während der Arbeit trudeln per E-Mail weitere Office- und PDF-Dokumente ein – nicht selten neue Versionen von alten Dokumenten. Schließlich mache ich einen ersten Textentwurf, den ich als Word-Dokument per E-Mail an den Projektleiter im Unternehmen sende. Dieser sendet das Dokument intern an die einzelnen Produktmanager weiter und bittet sie um eine inhaltliche Prüfung. Was folgt, kann man sich leicht vorstellen. Nach einigen Tagen treffen bei mir mehrere E-Mails ein, die veränderte Word-Dokumente und Textänderungsvorschläge direkt im E-Mail-Text enthalten. Die Änderungen in den diversen Dokumenten und E-Mails zu sichten, ist mühsam und erfordert viel Zeit. Und wenn ich die konsolidierten Änderungswünsche schließlich im Textmanuskript sprachlich überarbeite, also eine weitere Version des Textes erstelle, ist die Verwirrung schnell perfekt.

Da die Mitarbeiter im Unternehmen aus Zeitgründen oft nur die Passagen erneut lesen wollen, die verändert wurden, benutze ich ab und zu die Änderungsverfolgung der Textverarbeitung. Sie ist jedoch alles andere als benutzerfreundlich. Die Nutzung eines echten Versionierungssystems wie Subversion, Bazaar, Git oder Mercurial, wie es für Softwareentwickler und ihre Programmtexte üblich ist, würde sicher zahlreiche Probleme, die beim Hin- und Herschicken von geänderten Word-Dokumenten entstehen, beseitigen. Allerdings ist es illusiorisch zu glauben, dass Texter, Marketingleiter und Produktmanager auch nur ansatzweise damit zurecht kämen. Denn erstens erfordert die Arbeit mit diesen Versionierungswerkzeugen die Einhaltung eines gewissen Arbeitsablaufes und mithin ein gewisses Maß an systematischer Disziplin, das in der Marketing- und Werbebranche eher nicht anzutreffen ist; und zweitens müssten sehr viele Leute dann mit einfachen Textformaten arbeiten und nicht mit Worddokumenten, deren Dateiformat eine Versionierung von vornherein unmöglich macht.

Wave könnte hier die Lösung bringen, da die Versionierung der Texte einfach und dennoch benutzerfreundlich gelöst ist. Mit Wave stellt sich der oben skizzierte Ablauf ganz anders dar. Es werden keine zahlreichen einzelnen Dokumente an unterschiedlichen Orten erstellt, alles geschieht in Wave.

Zunächst beschreibt der Projektleiter in einer Wave sein neues Projekt in kurzen Worten, schaltet die verantwortlichen Produktmanager hinzu und bittet sie um weitere Informationen. Gemeinsam sammelt er mit den Produktmanagern in der Wave alle Informationen, die zur Texterstellung nötig sind. Schließlich wird der Texter aus der Werbeagentur hinzugeschaltet, sodass dieser alle Informationen einsehen kann.

Der Texter erstellt anschließend eine neue Wave, in der er eine Gliederung der Broschüre vorschlägt, die von den anderen Teilnehmern diskutiert, modifiziert und schließlich genehmigt wird. Anschließend erarbeitet er einen ersten Textentwurf. Die Projektleiter und Produktmanager im Unternehmen haben in Echtzeit Zugriff auf den Textentwurf und können frühzeitig korrigierend eingreifen, indem sie den Text kommentieren oder weitere Informationen in gesonderten Waves zur Verfügung stellen. Der Text der Broschüre wächst dabei in einem kollaborativen Prozess zwischen Texter, Projektleiter und Produktmanager nach und nach heran. Sobald Grafiken und Bilder zur Verfügung stehen, können diese bereits vor Erstellung eines Layouts an der entsprechenden Textstelle eingefügt werden, sodass jeder Leser eine Vorstellung davon bekommt, mit welchen Bildern die Texte später kombiniert werden sollen.

Die ersten Layoutentwürfe des Grafikers können als Dateianhang ebenfalls über Wave zentral zur Verfügung gestellt werden, sodass auch hier stets nur die aktuelle Version in Umlauf ist.

Der immense Vorteil von Wave liegt darin, dass die Sammlung und Sichtung von Informationen sowie die Erstellung des Textes an ein und demselben Ort stattfindet und alle Beteiligten auf alle notwendigen Informationen kontinuierlich Zugriff haben.

Neue Arbeitsmethoden wollen gelernt werden

Meine persönlicen Erfahrungen mit Wave zeigen, dass man sich sehr genau bewusst machen muss, wie man Wave nutzen möchte. Zwischen dem Austausch von Nachrichten im Stil von E-Mail, Foren oder Microblogging und dem gemeinsamen Erstellen eines Textes liegen Welten. Wird Wave wie ein Forum genutzt, reiht man einfach zahlreiche einzelne Waves in einem Diskussionsfaden aneinander, was man bei der Erstellung eines gemeinsamen Textes tunlichst vermeiden sollte, da bei einer forenartigen Arbeitsweise die Übersichtlichkeit, die einem gemeinsamen Textentwurf zugrunde liegen sollte, schnell verloren geht.

Wave bietet im Gegensatz zu anderen Werkzeugen ein hohes Maß an Flexibilität. Jedes Team, das mit Wave arbeitet, muss daher eine optimierte Arbeitsweise zunächst entwickeln, bevor es Wave effizient nutzen kann. Und das muss gelernt werden, denn in der Regel entwickeln wir erst während der Nutzung des jeweiligen Werkzeugs optimierte Arbeitsweisen. Man wird Google Wave also mehrfach ausprobieren müssen, um seine Potenziale für das Unternehmen abschätzen zu können. Der Vorteil von Wave liegt darin, dass das Werkzeug uns die Art, wie wir es nutzen, nicht detailliert vorschreibt. Es kann als E-Mail-Ersatz und Forum, zum Instant-Messaging, zur kollaborativen Erstellung von Texten und zu vielen anderen Zwecken genutzt werden.  Es ist damit wesentlich  komplexer als die Werkzeuge, die wir zurzeit nutzen. Es wird also eine gewisse Zeit dauern, bis wir alle das richtige Waven gelernt haben.